In unserer heutigen Zeit, in der das Fahrrad Allgemeingut geworden ist, kann man sich keine Vorstellung mehr davon machen, was es bedeutete, als das Niederrad – als Nachfolger des Hochrades – um 1890 erfunden wurde. Damit war die endgültige Form des Fahrrades mit Diamantrahmen, Kettenantrieb des Hinterrades und Luftreifen erreicht. Die Fahrräder waren beherrschbar, wurden billiger und für jedermann erschwinglich. Ein unvorstellbarer Fahrradboom begann, der Mensch wurde erstmals mobil und unabhängig von den bisher bekannten Verkehrsmitteln.
Überall in den rheinischen Landen schlossen sich radsportbegeisterte Männer zu Wanderfahrvereinen zusammen. Traf man Gleichgesinnte, grüßte man sich mit dem Ruf „All Heil!“.
Im Jahr 1897 lebten rund 1.800 Einwohner in der selbständigen Gemeinde Linn, die zur preußischen Rheinprovinz gehörte. Die Eingemeindung zur Stadt Krefeld erfolgte im Jahr 1901.
Auch in Linn gab es junge Männer, die im Besitz dieser neuen Fahrräder waren und so ergab es sich, dass im Januar 1897 in der Linner Gaststätte und Bäckerei Jakob Horster auf der Kirchstr. 19 – heute Margaretenstr. 22 – auf Anregung von Hermann Former der „Radfahrer-Club Linn“ gegründet wurde. Die gemeinschaftlich mit Peter und Karl Offermann festgelegten Richtlinien sind bis zum heutigen Tag gültig:
„Verbunden mit der sportlichen Leistung hat der Club die Aufgabe, die Heimatliebe zu fördern und die Gesellschaft zu pflegen“.
Im Juli 1922 erfolgte der Eintritt in den Bund Deutscher Radfahrer. Die Clubteilnehmer an der Bundeswanderfahrt zur Rheinischen Sportwoche nach Köln im Jahre 1922 erhielten eine von E. Sachs gestiftete Erinnerungsmedaille. Das 25jährige Stiftungsfest wurde im Saale Nauen durchgeführt. Der Kauf von sechs Reigen-Kunstfahrmaschinen der Marke Brennabor für ca. 1.000, – Mark verursachte im Jahr 1925 eine schwere Krise, die dank des Wirkens von Peter Schramm, Fritz Braun und Willi Bardohl überwunden werden konnte. Erwachsene und Jugendliche trainierten auf diesen neuen Reigen-Maschinen. Erwähnenswert sind die Jugendgruppen der Jahre 1926, 1931 und 1938. Alle Gruppen blieben dem Club treu verbunden. Weitere Kunstfahrmaschinen wurden gekauft.
Am 7. Nov. 1929 verstarb der Clubgründer Hermann Former. Bis zum Jahre 1939 ist ein intensives Clubleben mit Kunstradfahren, Wanderfahrten und geselligen Veranstaltungen zu verzeichnen. In der NS-Zeit fuhren Betreuer und Jugendliche an vielen Wochenenden ins Zeltlager oder nächtigten in Jugendherbergen. Der NS-Reichsbund für Leibesübungen bestimmte hier die Regeln. Ab 1942 kam das Clubleben zum Erliegen. Der 2. Weltkrieg forderte auch unter unseren Mitgliedern viele Opfer. 1947 wurde unter erschwerten Bedingungen der Clubbetrieb wieder aufgenommen. Das 50jährige Stiftungsfest konnte erst 1948 im Clubheim Vins, gefeiert werden, da zuvor die Kriegsschäden im Saal behoben werden mussten.
Ab 1951 wurde das Kunstradfahren für die männliche Jugend wieder aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass 1959 erstmals 4 Mädchen ihr Können auf den Reigenmaschinen zeigten. Die Kunstradfahrer wechselten 1964 vom Saal Dahmen zur neuen Turnhalle am Danziger Platz. Anfang der 1970iger Jahre wurden noch einige Kunstfahrmaschinen gekauft, denn bis zu 25 Jugendliche waren im Training. Hervorzuheben sind die sehr guten Platzierungen von Claudia Gdanitz und Gudrun Onkels bei den Turnieren des Bundes Deutscher Radfahrer (1977/78). Um 1984 wurde intern und extern nach einem neuen Trainer für unseren Kunstradsport gesucht, leider ohne Erfolg. So wurde 1986 die bittere Entscheidung getroffen, das Kunstradfahren einzustellen.
Das Jahr 1972 stand im Zeichen des 75jährigen Bestehens und wurde mit einem Galaabend im Clubheim Dahmen gefeiert. Das 100jährige Bestehen wurde 1997 mit einem Festakt im Rittersaal der Burg Linn, einer Fahrradsuchfahrt und einem Galaball im Burghotel Kaisler (ehem. Dahmen) ausgiebig gefeiert
Die Radwanderer traten ab 1951 allmählich wieder in die Pedalen. Erst seit 1969 wird einmal monatlich an einem Sonntagvormittag gefahren, Streckenlänge ca. 30 Kilometer. Weil Radfahren in den letzten Jahren voll im Trend liegt, wurde ab 2017 unser Radwanderprogramm um die sog. Donnerstagstouren mit viel Erfolg erweitert. Auf diesen Touren werden von den Damen und Herren mehr als 50 Kilometer gefahren. Viele Teilnehmer fahren bereits ein Pedelec, umgangssprachlich auch E-Bike genannt.
Für diejenigen, die eine größere und flottere Runde fahren wollen, ist seit 2022 eine neue Rennrad-/Gravelbike-Gruppe auf Tour. Die Gruppe hat einen großen Zuwachs zu verzeichnen. In den Wintermonaten wird auch auf der Hallen-Rennradbahn in Büttgen trainiert. Von 1992-2005 war schon einmal eine Rennradgruppe aktiv unterwegs.
Für die Nachwuchsarbeit haben wir im Jahr 2023 Familien-Radtouren mit einer geringen Kilometerleistung ins Programm genommen. Sport, Natur und Kultur werden den Teilnehmern durch einen Guide vermittelt. Die Kinder können von jeder Fahrt Notizen in ein Fahrtenbuch eintragen.
Seit März 2023 zeigen wir mehrmals jährlich in einem Fahrrad-Werkstattkurs auf dem Danziger Platz in Linn, wie Jung und Alt, Mitglieder und Dritte ihre Fahrräder selbst reparieren und verkehrssicher herrichten können. Einige radsportliche Veranstaltungen sind noch besonders erwähnenswert. Die jährliche Fahrrad-Fuchsjagd ist eine besondere Veranstaltung unseres Clubs. Die Regeln werden seit 1908 der jeweiligen Zeit angepasst. Die bereits erwähnte Radtour unseres Clubs zur Rheinischen Sportwoche nach Köln am 23.07.1922 wurde am 23.07.2023 von unseren Rennradfahrern und Radwanderern erneut gefahren. Ein weiteres Highlight war eine Comedy-Fahrradtour im August 2023 mit dem Comedian Volker Diefes.
Die Präsentation der clubeigenen historischen Fahrräder (Laufräder, Hochräder sowie Fahrräder aller Art) ab dem Baujahr 1925, in Verbindung mit unserer Biedermeiergruppe, sind seit Jahren ein Blickfang auf vielen Festen unserer Region. Erfahrene Mitglieder zeigen die Kunst des Hochradfahrens.
Im Aug. 2023 wurde von der WestLotto Kundenzeitschrift „GLÜCK“ ein Artikel mit Fotos über unseren Club und speziell den historischen Fahrrädern veröffentlicht. Die Überschrift lautete: „Mit Zylinder, Charme und Zweirad“. Das Magazin lag kostenlos in allen Lottostellen des Landes Nordrhein-Westfalen aus.
Der bei der Gründung festgelegte zweite Punkt der „Heimatliebe“ wird durch die Pflege des heimatlichen Brauchtums und durch Dienste für das Gemeinwohl verwirklicht. Die Kunstradfahrer haben über Jahrzehnte mit ihrem Können viele Linner Veranstaltungen bereichert. Die Linner Schützen- bzw. Heimatfeste wurden und werden durch Kompanien oder historische Gruppen unseres Clubs mitgestaltet. Da war das Radfahr-Jäger-Schwadron von 1933-1954. Als Nachfolger wurde 1957 die Bogenschützenkompanie gegründet. Mitte der 1960iger Jahre verselbständigte sich diese Kompanie, ist aber bis heute freundschaftlich mit uns verbunden. Beim Heimatfest 1971 wurde die Fahrradgeschichte mit historischen Fahrrädern lebendig dargestellt. Die Jugendgruppe unseres Clubs präsentierte einen Radkorso mit Blumenbögen und Krone.
Der Wunsch der Clubmitglieder nach Einbindung der ganzen Familie in die zukünftigen Heimatfeste führte zur Gründung der Biedermeiergruppe. Sie ist seit 1974 ein fester Bestandteil der Historischen Gruppe bei den Linner Heimatfesten. Auch bei anderen Veranstaltungen in unserer Region ist die Biedermeiergruppe mit den eleganten Gewändern und historischen Fahrrädern ein hervorragender Repräsentant unseres Clubs. Die Biedermeier unterstützen seit 40 Jahren die AG Flachsmarkt, u.a. bei der Einweisung der Handwerker. Weitere Informationen zur Biedermeiergruppe können auf der eigenen Homepage nachgelesen werden.
Der dritte Auftrag der Clubgründer war der „Pflege der Geselligkeit“ gewidmet. Abseits des Sattels wurden viele gesellige Veranstaltungen durchgeführt, damit die Gemeinschaft und Identität zum Club gestärkt werden.
Seit der Gründung wird ein jährliches Stiftungsfest gefeiert, das in den 1970iger Jahren in „Clubabend“ umbenannt wurde. Ein Unterhaltungsprogramm gehört immer dazu. Zu den weiteren aktuellen geselligen Aktivitäten zählen Stammtische, Grillpartys, Theaterbesuche und Ausflüge.
Im Rückblick sind noch folgende Veranstaltungen zu erwähnen: große Karnevalsbälle von 1924-2007, Winzerfeste von 1936-1968, Kirmesbälle und Nikolausfeiern.
Verschiedenes: Der Radfahrer-Club Linn war über 80 Jahre lang eine reine Männergesellschaft. Der Ruf nach Gleichberechtigung machte auch vor unserem Club nicht halt. Nach einigen Diskussionen wurde im Jahr 1982 die erste Frau in den Kreis der aktiven Mitglieder aufgenommen. Ende 2023 beträgt der Anteil der weiblichen Mitglieder 42%.
Im Februar 1980 erfolgte die Eintragung in das Vereinsregister beim Amtsgericht Krefeld. Seit Januar 2002 ist unser Club mit zwei Homepages im Internet vertreten. Im Juli 2017 wurde aus Anlass unseres 120jährigen Bestehens ein Sommerfest mit rund 200 Personen auf dem Mühlenhof in Linn gefeiert. Der Veranstaltungsüberschuss wurde der Kindertagesstätte Kreuzweg in Linn überreicht. Während der Corona-Pandemie mussten auch wir aufgrund behördlicher Anordnungen unseren Clubbetrieb in den Jahren 2020/21 zeitweise ganz einstellen. Das 125jährige Gründungsjubiläum unseres Clubs wurde im November 2022 mit einem wunderbaren Festakt in der Linner Museumsscheune gefeiert.
Der Radfahrer-Club Linn ist ein Verein, der in den letzten Jahrzehnten auf den Breitensport ausgerichtet ist. Im Radsport vermitteln wir Spaß und Freude an der Bewegung. Mit unserem Engagement beim Brauchtum in Linn und unseren geselligen Veranstaltungen möchten wir die Lebensfreude und Lebensqualität unserer Mitglieder steigern. Es herrscht bei uns eine familiäre Atmosphäre. Das ist die DNA des Radfahrer-Clubs Krefeld-Linn 1897.
Chronist J. Heckel
Besondere Ehrungen
Der ehemalige Club-Vorsitzende Jürgen Heckel wurde im Juli 2023 für das 40jährige Engagement im Radsport vom Oberbürgermeister Frank Meyer mit dem Krefelder Stadtsiegel im historischen Ratssaal ausgezeichnet.